Auf über 200 Seiten durfte Björn Höcke in einem Buch gewordenen Hofberichterstatter-Interview seine Gedankenwelt ausbreiten. Der daraus entstandene Titel „Nie zweimal in denselben Fluss“ strotzt vor Volksgedanken, Fremdenfeindlichkeit und Verschwörungstheorien. Gleichzeitig soll er seinen Protagonisten zu einer Geistesgröße stilisieren: Ein Kenner der Historie bewegt sich trittsicher durch das im Auflösungsprozess begriffene Gelände der Gegenwart.
Zu diesem Zweck wird schweres Geschütz aufgefahren. Höcke bittet alte und ganz alte Helden der deutschen oder europäischen Menschheitsgeschichte auf die Bühne seiner Selbstüberhöhung: die Teutonen natürlich, Arminius, Karl Martell. Unter Schriftstellern und Lektoren nennt man diese Technik „Resonanzerzeugung“. Beinahe zufällig fallengelassene historische Bezugspunkte laden das Geschehen automatisch mit Bedeutung auf, wie banal es auch sein mag. „Nennt mich Ismael“, beginnt „Moby Dick“ und fasziniert.
Neben dieser Überstilisierung des eigenen Denkhorizonts, verzweifelt auf der Suche nach der Aura des Der-weiß-wovon-er-spricht, dienen die historischen Anleihen der Selbstlegitimation. Ein großes Problem für den unscheinbaren Politiker, denn weshalb sollte uns ein Geschichtslehrer die Welt erklären? Höckes Antwort besteht in der Einreihung seiner Selbst in die (imaginierte) Kette großer Denker und Täter des germanischen Schicksalsreichs. Als deren Kenner soll er sogleich als ihr Verbündeter erscheinen, als logische und zugleich bedrohte Folge einer Ahnenreihe. „Nennt mich Veleda“, raunt es durch die Seiten.
Das Sehertum ist Höckes Sache ohnehin. Die Apokalyptischen Reiter galoppieren zu Dutzenden durch seine Einlassungen: Multikulti habe die „Minorisierung und Marginalisierung der autochthonen Völker“ zum Ziel, die Islamisierung drohe, Zerrissenheit, verweichlichte Männer, Krise allenthalben. Wo der Untergang droht, ist die (vermeintliche) Rettung nicht weit. Mit Begriffen wie „Wendezeit“, notwendigen Härten und einem „neuen Kapitel“, dass es aufzuschlagen gelte, beschwört Höcke ein diffuses Handlungspotential, dass der Krise wie dem deutschen Volk innewohnen soll. Allein zur Tat schreitet man noch nicht, das Volk wartet, aber worauf? Auf Björn Höcke, so der eifrig nahegelegte Schluss, den Kenner der deutschen Nöte und Bedürfnisse, die starke Hand bar jeden falschen Mitleids gegen die Volkszersetzer.
In „Nie zweimal in denselben Fluss“ trifft also eine bemühte Gegenwartsdiagnose auf eine bemühte Selbststilisierung – gewürzt mit den schrillen Untertönen eines angeblich heraufziehenden Entscheidungskampfes. Duktus und Sprachstil fallen dabei ebenfalls so bemüht und pathetisch aus („der Rhein!“), dass das Buch nicht an den Klischee-AfD-Wähler gerichtet sein kann. Höcke zielt auf die Intelligenz, mindestens auf die gebildete Mittelschicht. Das Buch drängt den Leser jedoch zu dem Schluss: Höcke selbst gehört nicht dazu. Wenn Höcke repräsentativ für die Neuen Rechten ist, braucht man sie also intellektuell nicht zu fürchten. Interessanter als ihre profanen Inhalte scheint die Inszenierung: Selbstüberhöhung, Selbstlegitimation, Unheil und Heiland in einem heraufbeschwören. Diesen bekannten Dreischritt wollte Björn Höcke auf eine bildungsbürgerliche Ebene hieven – und ist daran gescheitert. Womöglich wird es neue Versuche geben, mit geeigneteren Protagonisten. Dann gilt es, diese Inszenierung zu entlarven und zu widerlegen. Der Versuch selbst war clever. Rechtsintellektuell wird Höcke deshalb allerdings nicht – er bleibt schlicht rechts.
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