Wenn Herr Müller am Abend des 01. Juni vom roten Kunstledersofa aus mit einer Flasche flüssig Brot in der Hand den Fernseher einschaltet, um Jürgen Klopp, Joel Matip, Heung-Min Son oder Roberto Firmino zuzujubeln, wird er sehr oft dieselbe Taste drücken, aber keinen Fetzen des grünen Geläufs in Madrid zu Gesicht bekommen. Obwohl sich Deutschland irgendwie doch ein bisschen qualifiziert hat, wird das Final der UEFA Champions League in diesem Jahr nicht im frei empfangbaren Fernsehen zu sehen sein.
Stattdessen läuft das Spiel bei gleich zwei Bezahl-Anbietern. Dem altehrwürdigen Sky, mit einer Vorliebe für externe Hardware in Form von zweifelhaften Receivern und dem Emporkömmling DAZN, ein Streamingdienst.
Schon länger sind die Fußballbegeisterten Deutschlands daran gewöhnt, ihren Lieblinge nicht einfach so zuschauen zu können, erst recht nicht live. Doch was in den 90ern mit Premiere und TM3 began und mit ran, dieser Dauerwerbesendung mit eingeblendeten Fußballspots seinen Höhepunkt fand, ist längst auf einer neuen Eskalationsstufe angelangt.
Wer alle Spiele seines Herzensklubs verfolgen möchte, muss allein für die Bundesliga zwei Abonnements abschließen (Sky & Eurosport). Spielt der Verein international kommen noch DAZN oder RTL hinzu.
Samstagnachmittag Zeit zu haben ist dabei längst nicht mehr genug. Es gibt Topspiele am Abend, Flutlichtbegegnung am Freitag, Sonntagmittagmatches und selbst der Montagabend hat seine Heiligkeit verloren. Fan sein ist ein Fulltimejob geworden.
Die Zersplitterung der Spieltage und der Angebote folgt der Logik des Geldes. Möglichst viele unterschiedliche Anstoßzeiten bedeuten ein Maximum an zahlenden Zuschauern. Und Geld braucht der Fußball in der heutigen Zeit.
Das Big Business hat in den Allianz-, AOL- und Emirates Arenen Einzug gehalten. Die Dembeles, Neymars und Salahs dieser Welt sollen nicht nur Spiele gewinnen, sie sollen den Marken und Investoren, die ihnen ihre Gehaltschecks ausschreiben etwas vom Duft der Emotion und des Erfolgs aushändigen, der Stadien elektrisieren kann.
Sie sollen möglichst überlebensgroß Geschichten schreiben, die sich vermarkten lassen. Also Geschichten, die kleine Jungs dazu bringen, solange am Pulloversaum ihrer Mütter zu zerren, bis sie ihnen das weintraubenblau leuchtende PSG-Trikot kaufen.
Für die älteren Kinder, Fußballfans jenseits der 25 also, wird derweil auf andere Art die vielleicht verlorengegangene Begeisterung geweckt oder auf völlig uninteressante Begegnungen ausgedehnt. Mittendrin, statt nur dabei ist nicht länger ein Werbeslogan des DSF, sondern die Botschaft der Spots, die in den Halbzeitpausen laufen und die Zuschauer zum Wetteinsatz animieren sollen.
Wettanbieter und Sendeanstalt gehen dabei ein perverses Bündnis ein: Belanglose Spiele werden trotzdem geguckt, wenn auf ihren Ausgang Wetten laufen, und Wetten werden platziert, wenn die Spiele, für die man monatlich viel Geld zahlt, eigentlich niemandem vom Hocker reißen.
Dem scheichgeschwängerten Kommerz wurde insbesondere aus Bundesliga heraus lange selbstbewusst bis ignorant das Credo entgegengehalten, Geld schieße keine Tore. Seitdem die TSG Hoffenheim zu Zeiten der Investitionswut ihres Mäzen Dietmar Hopp vom Aufstieger direkt zum Herbstmeister mutierte sollte dieser Glaubenssatz eigentlich als widerlegt gelten.
Doch der Misserfolg im Mutterland der Investorenklubs, dem Premier League verwöhnten England, schien den Sozialneid deutscher Klubvorstände lange zu bestätigen. Abramowitschs FC Chelsea und Katars Manchester City haben in den frühen Jahren des Investments enttäuscht.
Mittlerweile aber haben beide Klubs Meisterschaften und Pokale gewonnen. City dominiert unter Pep Guardiola seit Jahren die Premier League, die vermeintlich beste Liga der Welt. Die Wahrheit lautet: Die Klubs haben lange schlecht investiert. Die falschen Beine, die falschen Köpfe.
Denn im Fußball gibt es zwei Wege zum Ruhm, die man sich erkaufen kann: Teure Beine, die Einzigartiges auf den Platz zaubern (Messi, Ronaldo, Arjen Robben, nicht aber Neymar, Pogba oder Bale) oder teure Köpfe, die in der Kabine Pläne aushecken, die vergessen lassen, dass man nicht die allerbesten Beine auf den Rasen schickt (Klopp, Guardiola, Ten Hag).
Seit einigen Jahren hat sich das auch in der Premier League rumgesprochen. Kolportierte 11 Millionen Jahresgehalt für einen Trainer wie Jürgen Klopp, der damals noch kein Star war, symbolisieren die Art von Investment, die man lange gescheut hat. Die Jagd nach den neuen Messis und Ronaldos führt dazu, dass 19-Jährige ohne nachhaltigen Leistungsnachweis für dreistellige Millionensummen das Trikot wechseln, nicht aber in die Premier League. Dort werden Transfers zielgerichtet getätigt, Lücken im Kader geschlossen. Allerdings greift die allgemeine Inflation auch hier um sich: Virgil van Dijk, entscheidendes Puzzlestück in Klopps vorwärts verteidigendem Matchplan, kostete als Innenverteidiger 80 Millionen.
Die Finals der Champions League und der Europa League bestreiten deshalb ausschließlich englische Vereine. Seit 2012 gab es keine großen europäischen Triumphe ohne Ausnahmespieler mehr. Sechs mal gewannen Messi oder Ronaldo den Henkelpott, einmal Arjen Robben. Dieses Jahr werden Teams triumphieren, deren Stars an der Seitenlinie stehen: Jürgen Klopp und Mauricio Pochettino heben ihre bloß guten Kader auf das höchste Niveau.
Für den gemeinen Fußballfan heißt das, dass das Spektakel auf dem Rasen ohne sein kräftiges finanzielles Zutun nicht mehr dargeboten werden kann. Es genügt nicht mehr, Samstagnachmittag die Bierflasche zum Anstoss zu erheben. Das bedeutet auch: der gemeine Fußballfan gehört nicht mehr zur Zielgruppe.
Wenn die Mattscheibe am ersten Juni nicht im satten grün des Hybridrasens erstrahlt, dann ist das die logische Folge dieser Entwicklung. Fußball ist nicht mehr für Herrn Müller und das rote Kunstledersofa gedacht. Er ist ein Premium-Produkt.
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