Würde Heidi Klum für jeden journalistischen Satz in dem der Name ihrer Sendung „Germany’s Next Topmodel“ zusammen mit dem Adjektiv „frauenverachtend“ auftaucht einen Cheeseburger verputzen, könnte sie schon bald nur noch eingeschränkt als Slimwasherin für ihre Lieblings-Fast-Food-Kette fungieren. Auf kaum ein Format prasselt derart viel Häme ein, wie auf die vielleicht konsequenteste Castingshow im deutschen Fernsehen.
Mangelnde Vorbildfunktion, Objektifizierung der Frau und Vermittlung eines gesundheitsgefährdenden Körpergefühls lauten die wesentlichen Vorwürfe. Und tatsächlich: GNTM treibt das Castingshow-Prinzip in aller Perfidität auf die Spitze. Aber welche Rolle spielen die scharfen Kritiker der Sendung?
Eine jede Castingshow lebt vom Versagen ihrer Kandidaten, vom Ausleuchten des Abgrunds, der sich vor den verschmähten Kandidaten auftut. Keine Träne, kein Wutausbruch, die nicht zum Mittelpunkt der fernsehdeutschen Befindlichkeit stilisiert werden wollen.
Wo „Deutschland sucht den Superstar“ Menschen vorführt und sich selbst mit einem Mangel an Seriösität um Teile seiner Niedertracht beraubt, legt „The Voice of Germany“ mit seinem anbiedernden Fokus auf die Stimme erst recht den Finger auf die Auslieferung des Kandidaten zu Jurys Gnaden. Was GNTM von diesen Formaten unterscheidet, ist die Abwesenheit einer bestimmten Fähigkeit, die ihre Kandidatinnen zu Favoritinnen auf den Gesamtsieg machen könnte. GNTM ist ganz und gar körperlich.
Die Sendung präsentiert sehr schlanke mitunter sehr junge Frauen mit sehr großen Träumen, deren Erfüllung wiederum an ihre gertenschlanke Jugendlichkeit geknüpft ist. Das Verheerende daran ist, dass junge Mädchen dazu verleitet werden könnten, ihren Selbstwert aus genau den gleichen reduzierten Eigenschaften zu ziehen. Kritiker führen für gewöhnlich die Gefahr von Essstörungen ins Feld. Weitreichendere Folgen dürfte jedoch die drohende Oberflächlichkeit der heranwachsenden Generation sein. Wenn alles körperlich, ja äußerlich ist, vergessen wir nicht nur unsere inneren Werte, sondern auch diejenigen unseres Gegenübers.
Die verkürzte Kritik bleibt stattdessen in ihrem Fokus auf die eventuellen körperlichen Auswirkungen selbst ebenfalls auf das Körperliche beschränkt. Ein BMI von 18 sei Untergewicht, ein Mangel an Nährstoffen notorisch, ein solcher Körper ganz und gar nicht hübsch. Damit argumentieren sie einerseits an der Realität vorbei, denn Heidis Mädchen sind zwar gertenschlank, aber selten tatsächlich krankhaft dünn.
Wer mit äußerst schlaksigen 1,80 m nur 59 kg wiegt, hat einen BMI von 18,2. Das ist gerade so unter der Grenze zum Normalgewicht und wird als „leichtes Untergewicht“ bezeichnet. Trinkt eine solche Bohnenstange eine Maß Bier ist sie nicht nur betrunken, sondern bereits wieder normalgewichtig. Sie müsste anschließend weitere vier Kilo verlieren, um als magersüchtig zu gelten.
Andererseits aber verändern die Kritiker nur den Maßstab, den höhere Mächte (in diesem Fall nicht Frau Klum, sondern die Medien) anlegen. Hinter der Kritik steht formal der selbe Imperativ wie hinter Heidis Bemerkungen zur Bauchfalte eines ihrer Mädchen. Einzig der Inhalt ist ein anderer. Zugegeben, er ist bequemer: Das normalgewichtige Mädchen mit der Bauchfalte muss nach diesem Maßstab nicht abnehmen. Aber stattdessen wird das normalgewichtige Mädchen ohne Bauchfalte stigmatisiert.
Ein besonderes Phänomen dieser Denkweise stellt der Verweis auf die Schönheit sogenannter „Plus-Size-Modells“ dar. Laura Wells, eine der bekanntesten Modells dieser Rubrik, soll auf 1,78 m 84 kg wiegen. Der sich daraus ergebende BMI von 26,5 ist bereits eindeutig Übergewicht, wenn auch noch keine Adipositas. Die Dame müsste acht Kilo verlieren, um als normalgewichtig zu gelten.
Es liegt auf der Hand, dass diese Frauen ungesünder leben, als die meisten von Heidis Mädchen. Allerdings müsste Misses Wells auch noch einige Pfunde zulegen, um in jedem Fall gravierende gesundheitliche Probleme zu bekommen. Entscheidender ist aber auch hier die an die Mädchen gestellte Erwartungshaltung: Sei gefälligst kurvig, eben wie eine richtige Frau.
Es ist eigentlich zu offensichtlich, um es zu schreiben: Die Zunahme von Essstörungen bei jungen Frauen hängt medial nicht allein vom Schlankheitswahn der Modellwelt ab. Jegliche Bewertung des weiblichen Körpers seitens verschiedener Autoritäten erschafft ein Klima von Druck und Verunsicherung. Die Frau bleibt Objekt. Der weibliche Körper ebenso wie die auf ihn reduzierte Frau. Die nüchterne Besinnung auf die bestehenden wissenschaftlichen Kriterien für ein gesundes Gewicht sollte alles sein, was wir uns und dem Rest der Gesellschaft zumuten.
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