Im Zuge der Erbschaftssteuerreform ist eine neue Debatte über die Moral des Erbens entbrannt. Besitzbewahrer wie Enteignungsbefürworter ergehen sich dabei in zweifelhaften Argumentationen. Insbesondere die Seite der Befürworter eines größeren staatlichen Eingriffs stützt sich unreflektiert auf aus anderen Diskursen entlehnten Prämissen, die beim Thema Erbschaft keine Anwendung finden sollten. Die Frage des Verdienst und der Gleichheit berühren den Gegenstand nur scheinbar, denn Erben ist ein moralisch neutraler Vorgang.
Reichtum schützt vor existenziellen Notwendigkeiten, eröffnet Wahlmöglichkeiten, die anderen lebenslang verschlossen bleiben. Wer also ein Vermögen erbt, wird zweifelsohne bessere Aussichten haben, sein Leben nach seinen Vorstellungen gestalten zu können. Erbschaftsgegner halten das für ungerecht. Diese Ungerechtigkeit speist sich für sie aus zwei Quellen: Erstens hat der Erbe sich seine materielle Sicherheit nicht verdient.
Zweitens übersteigt sein Vermögen jenes der Nicht-Erben um ein Vielfaches. Aus dieser Ungleichheit der schwarzen Zahlen folgt eine zu überwindende Ungleichheit der Chancen. Beide Aspekte sind verfehlt.
Befreit man den Aspekt des Verdienens von seinem leistungsbezogenen Anstrich bleibt nur bloße Missgunst übrig. Leistung muss sich zwar lohnen. Daraus folgt jedoch nicht, dass erbrachte Leistung notwendige Bedingung legitimen Besitzes ist. Ich habe mir meinen Körper nicht verdient, weil er ohne besondere Anstrengung meinerseits gewachsen und geformt wurde. Dennoch entscheide allein ich darüber, was mit ihm geschieht. Aus der Tatsache, dass ich mir meine Nieren nicht verdient habe, folgt kein Recht der Gesellschaft auf meine Nieren.
Genau diese Logik liegt dem Einwand des Verdienst aber zugrunde: Was nicht durch Leistung verdient wurde, soll allen gleichermaßen gehören. Warum diese Logik auf materiellen Besitz beschränkt bleiben soll, diskutiert niemand. Doch selbst wenn diese Einschränkung gelingen würde, beißt sich jene Logik mit unserer alltäglichen Praxis: Wenn ich von meinen Freunden ein Buch geschenkt bekomme, gehört es dann eigentlich gar nicht mir, weil ich es mir nicht durch Leistung verdient habe?
Wenn mit dem Aspekt des Verdienens also nicht erbrachte Leistung gemeint sein kann, bleibt nur der Rekurs auf die Eigenschaften des Erbens selbst. Dies ist nichts weiter als der kindliche Versuch den eigenen Neid durch Verweis auf vermeintliche Verfehlungen des Anderen zu legitimieren.
Der Einwand, Ungleichheit sei auszugleichen, oft gänzlich unhinterfragt postuliert (siehe Kollege Wolfgang Gründiger bei ZEIT Online), ist ähnlich problematisch. Das Erbe Ungleichheit zwischen Erben und Nicht-Erben verursacht, auch hinsichtlich der Lebenschancen, ist unbestritten.
Fraglich bleibt jedoch, ob Ungleichheit per se nivelliert werden muss. Hierfür müsste man zuerst zeigen, dass eine Verteilung von Gütern an sich ungerecht sein kann. Wenn ich drei Äpfel habe und Sie keinen, dann ist das ungleich. Aber ist es ungerecht? Solange wir die drei Äpfel vor mir und die Leere vor ihnen auch anstarren, wir werden keine Antwort auf diese Frage finden. Vielleicht habe ich ihnen die Äpfel gestohlen, aber das verrät uns die bloße Verteilung nicht.
Folglich können abgesehen von ihrem Zustandekommen (und hierbei nicht anhand der Frage des Verdienst) nur die Konsequenzen einer Ungleichheit eine Verteilung als ungerecht ausweisen. Doch auch hieraus folgt nicht zwingend das Recht auf Umverteilung. Wenn die Bildungschancen unserer Kinder von unserem Geldbeutel abhängen, dann muss das Bildungssystem angepasst werden, nicht unser Geldbeutel. Wenn eine Abhängigkeit zwischen dem Bildungsniveau der Eltern und den Bildungschancen der Kinder besteht, müssen dann die Eltern angepasst werden?
Vererbtes Geld ist zweifelsohne leichter umzuverteilen als Kinder. Und selbstredend scheinen die Eltern auch ein Recht auf ihre leiblichen Kinder zu haben. Aber warum sollten sie nicht das Recht haben, ihren Kindern ihren Besitz zu überlassen? Denn auch wenn es für Erben mitunter den Anschein hat: Eine Erbschaft fällt nicht vom Himmel. Es handelt sich um ein Vermögen, das eine Person willentlich an eine andere Person transferiert. Daran ist nichts verwerflich und nirgendwo in diesem Prozess kann die Allgemeinheit ihr Recht auf dieses Vermögen geltend machen.
Erben ist also moralisch neutral. Während die Kategorie des Verdienens gänzlich versagt, genügt das Faktum der Ungleichheit nicht, um einen Anspruch Dritter an fremdem Besitz zu legitimieren. Man müsste die Abschaffung der Ungleichheit schon zum obersten moralischen Gebot erklären, um dies zu erreichen. Spätestens wenn dies erfolgt, müssen jedoch Argumente für das Primat der Gleichheit formuliert werden. Man sollte daher Abstand davon nehmen, eine umfassendere Erbschaftssteuer mit einer moralischen Bewertung des Erbens selbst begründen zu wollen.
Für eine weiterführende und brilliantere Diskussion der Problematik siehe Robert Nozick – Anarchy, State and Utopia, Kapitel 7 & 8.
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