Thomas de Maizière hat endlich die Debatte um eine deutsche Leitkultur wiederbelebt. In Zeiten von Zuwanderung mag man der Meinung sein, es sei auch höchste Zeit gewesen. Doch de Maizières Pamphlet zeigt: Kaum etwas ist unnötiger.
Leitkultur, das meint etwas über die bloße Rechtsprechung Hinausgehendes, eine Art Usus. Den Teil des Privaten betreffend, der tendenziell von der möglichen Tyrannei der Mehrheit bedroht ist. Denn schließlich fordert sie bestimmte Verhaltensweisen ein, die eigentlich, liberal betrachtet, völlig im Ermessen des Einzelnen liegen. De Meziere nennt das Händeschütteln. Er sagt: „Wir sind nicht Burka“. Was sind wir dann? Und ist er nun schon das Volk?
So sehr de Maizierè es auch versucht, seine Ergüsse sind kein großer Wurf. Die Burka kritisiert er mit Verweis auf das Vermummungsverbot, also einem bestehenden Gesetz, das gerade nicht das übergesetzliche Wesen einer Leitkultur einfangen kann. Es ist ihm weiterhin wichtig, dass auf Festen Musik gespielt wird. Und dass ja niemand auf die Idee kommt, Bildungspolitik sei hierzulande von ökonomischem Denken geprägt.
Letzteres ist entweder beißende Ironie oder eine Entschuldigung durch die Hintertür für die Fehlleistungen der vergangenen Jahre. Jedenfalls findet sich nichts von Bedeutung in de Meizerês Text. An keiner Stelle gelingt es ihm, zu konkretisieren, was eine Leitkultur jenseits von geltendem Recht oder Trivialitäten bedeuten soll. Und das ist dann auch das eigentliche Problem an der ganzen Sache. Der Versuch, eine nationale Identität zu beschwören, die exklusiv ist, also ausschließende Wirkung hat, scheitert an den Realitäten des 21. Jahrhunderts. Der für ein solches Unterfangen notwendige starke Nationalstaat ist in Westeuropa ideell längst ausgehöhlt, zum Glück ausgehöhlt, weil diese Nivellierung Grundvoraussetzung für ein vereintes Europa ist.
Wäre de Mizieres Nonsens modern und produktiv, hätte der Herr Minister diesem Umstand Rechnung getragen und eine europäische Leitkultur thematisiert, anstatt sich sogar dazu hinreißen zu lassen, einen neuen deutschen Patriotismus zu postulieren. Das eigentlich tragische an der Sache bleibt dann, dass ein solch uninspirierter Kopf wahrscheinlich auch in der nächsten Regierung seinen Platz finden wird.
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