Das Problem der deutschen Werte

Deutsche Werte

Dieser Tage wird viel Aufhebens um „unsere Werte“ gemacht. Zu gelten haben sie, man müsse sie standhaft verteidigen und am besten allen Neuankömmlingen in unserem Land per Flugblatt bereits an der Grenze vors Gesicht halten. Denn schließlich muss eine Bedrohung dieser Werte dringend abgewendet werden. Aber wo durch sind sie bedroht? Und was sollen das eigentlich sein, „deutsche Werte“?

Die Gleichberechtigung der Geschlechter, sagen manche. Demokratie. Meinungsfreiheit. Die Trennung von Staat und Religion. Toleranz gegenüber Andersartigen.

Nun wird niemand bestreiten wollen, dass dies einige der Werte sind, die unser gesellschaftliches Leben bestimmen und formen. Aber wo ist das spezifisch Deutsche daran? Sind die Franzosen gegen die Gleichstellung von Mann und Frau? Oder die Iren schwulenfeindlich? Sind die Amerikaner undemokratisch? Bestenfalls handelt es sich hierbei um sogenannte „westliche Werte“. Also um einen Wertekanon, der wesentlich in Europa und Nordamerika erdacht und entwickelt worden ist und dementsprechend vor allem in den dortigen Gesellschaften zur Anwendung kommt. Ein spezifisch deutscher Wert mag, dem Klischee folgend, vielleicht so etwas wie Pünktlichkeit sein. Pünktlichkeit ist im Vergleich zur Meinungsfreiheit allerdings so elementar für eine aufgeklärte Gesellschaft wie die Farbe des Öls für einen gelungenen Braten.

Der Begriff der westlichen Werte widersteht der nationalistischen Logik

Wenn wir überhaupt etwas zu verteidigen haben, dann sind das also westliche Werte. Dies kann natürlich schwerlich in nationalistische Rhetorik gegossen werden. Auch ein ausgeprägterer Nationalstolz, wie er etwa von Henryk Broder gefordert wird, kann uns demnach nur bedingt dabei helfen, die Fahne der Demokratie hochzuhalten. Nichtsdestotrotz weist die Rede vom „gefährdeten Volk“, auch wenn man sie pluralisieren muss, auf die wesentliche Dichotomie hin, die sich hinter der Rede von „unseren Werten“ verbirgt. Es gibt das „Uns“, nennen wir es Abendland, und das „die Anderen“, nennen wir es Morgenland. Der „Kampf der Kulturen“ hat begonnen, so die Rhetorik.

Jan Fleischhauer liefert postwendend ein Beispiel für diesen Kampf: Wir müssten uns auf die „Maskulinisierung des öffentlichen Raums“ einstellen, zitiert er einen Soziologen. Denn es kommen ja vor allem Männer. Männer, die nicht wissen, wie man mit Frauen umzugehen hat, die womöglich gar an „Ecken herumstehen“.

In all dieser Besorgnis spiegelt sich eine wunderbar eindeutig auszumachende Xenophobie. Denn Demokratie, Gleichstellung der Geschlechter oder die Trennung von Staat und Religion sind nicht von zwei Millionen Flüchtlingen in einem Land von 80 Millionen Einwohnern bedroht. Jedenfalls nicht, wenn diese Werte so selbstverständlich für uns sind, wie es die Besorgten dieser Tage behaupten.

Die wahre Bedrohung kommt von innen

Jene Werte, die tatsächlich niemals zur Diskussion stehen sollten, sind vor allem durch uns selbst bedroht. Durch die vielleicht zu große Selbstverständlichkeit, mit der wir sie hinnehmen und die stets ein gewisses Desinteresse in sich birgt. Durch die reale Politik, die Kirchen Sonderrechte einräumt. Die die Ablehnung der Homo-Ehe nicht zuletzt religiös begründet. Durch einen als „alternativlos“ gebrandmarkten politischen Diskurs, der deshalb keiner mehr ist. Durch die krasse Geringschätzung, die Sozial- und Pflegeberufen in Form von Niedriglöhnen widerfahren. Durch gewerkschaftsfeindliche Politik.

Die Asylsuchenden in unserem Land sind allerhöchstens der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Aber das ist dann nicht ihre Schuld, sondern die unsere. Wer etwas anderes behauptet, hat zwar tatsächlich Angst. Aber es ist eben nur Xenophobie.