Und was ist mit den Tugenden des deutschen Sportjournalismus?

Sportjournalismus

Zum Auftakt der Nations League gegen Frankreich hat sich die deutsche Nationalmannschaft auf alte Tugenden besonnen. Toni Kroos grätschte. Die Journalisten vor Ort scheinen sich vor derlei Basisarbeit zu scheuen. Sie irrlichterten.

Anthony Rüdiger und Matthias Ginter als Außenverteidiger. Das erinnerte viele Kollegen zurecht an die WM 2014, als die Viererkette allein aus gelernten Innenverteidigern Bestand. Als Höwedes die linke Bahn beackerte. Und Boateng auf rechts abdichtete, wie SPIEGEL Online schreibt. Jedenfalls in den Gruppenspielen. Als es ernst wurde und besagter Boateng in die Innenverteidigung rückte, übernahm zunächst Shkodran Mustafi dessen Position, ehe er im Laufe des turbulenten Algerien-Spiels verletzt ausgewechselt werden musste und Philipp Lahm auf rechts endlich ins Turnier fand.

Soviel Genauigkeit muss nicht sein. Aber man könnte vielleicht in einem Nebensatz erwähnen, dass Matthias Ginter unter Thomas Tuchel bereits eine ganze Hinrunde als Rechtsverteidiger absolviert hat. Dass er dort 9 Scorerpunkte in 12 Spielen sammelte. Und dass diese Vielseitigkeit höchstwahrscheinlich der Grund war, weshalb Ginter und nicht Sané oder Tah mit nach Russland flog.

Hat jemand „gelernter Rechtsverteidiger“ gesagt?

Geschenkt. Wenn dann allerdings Joshua Kimmich als gelernter Rechtsverteidiger betitelt wird und Bela Rethy ihn für sein kluges Spiel auf einer für ihn ungewohnten Position lobt, fragt man sich schon, womit die Herren Kollegen ihren Berufsalltag zubringen. Kimmich ist auf der 6 zu Hause, dort spielte er in der Jugend und beim VfB Stuttgart, bevor er über Leipzig bei den Bayern aufschlug. Dass er Lahms sportliches Ableben zum Anlass nahm, um sich auf einer verwaisten Position einen Stammplatz zu sichern, sowohl in der Nationalmannschaft als auch beim FC Bayern, bezeugt seine Zielstrebigkeit und Cleverness. Aber es macht aus Joshua Kimmich keinen gelernten Rechtsverteidiger.

Selbst das Fachmagazin kicker, das jetzt immerhin Licht auf Kimmichs positionelle Vergangenheit wirft, interpretierte die Startelf gestern Abend vor dem Spiel taktisch mit Ginter auf der Sechs. Wo wir dann wieder bei dessen Halbserie als Rechtsverteidiger wären.

„Laptop-Trainer“ gegen Schreibmaschinen-Journalisten

Ein wenig müssen die Sportjournalisten im Land daher wohl erleichtert gewesen sein, als Jogi Löw vergangene Woche seine spärliche WM-Analyse präsentierte und von deutschen Tugenden sprach, von Stolz und Adler-auf-der-Brust-Rhetorik. Immerhin kam er nicht mit Begriffen um die Ecke, bei denen sie nach wie vor ironisierend die Nase rümpfen: Angriffspressing, Mannorientierungen, Halbräume – so hieße das ja heutzutage, sagen sie dann distinktionsbewusst, als stünden sie auf der richtigen Seite und als gebe es eine falsche.

In dieses Bild passt auch der abschätzige Begriff des „Laptop-Trainers“, der meist junge, moderne Coaches bezeichnet, die sich erdreisten, für ihre Arbeit Hilfsmittel jenseits der Trillerpfeife einzusetzen. Der erste Vertreter dieser Generation war Jürgen Klinsmann, der mit Thera-Bändern und sekundenzeigergeprüftem Passspiel den deutschen Fußball ins 21. Jahrhundert hievte. Noch heute wird Klinsmanns Schaffen gern der Lächerlichkeit preisgegeben, etwa wenn die Story von den Buddha-Statuen an der Säbener Straße bemüht wird, mit denen Klinsmann die Bayern-Spieler „jeden Tag besser machen“ wollte. Eine Idee des zuständigen Architekten.

Man möchte dem Gros der deutschen Sportjournalisten natürlich keine Ignoranz unterstellen oder gar Ressentiments gegenüber dem modernen Fußball. Aber wenn sie nicht wissen, dass Joshua Kimmich eigentlich ein zentraler Mittelfeldspieler ist, dann sind sie zumindest faul. Auch für sie wäre es mal wieder an der Zeit, ein bisschen Gras zu fressen.