Warum spielen wir Videospiele?

Warum spielen wir Videospiele

Bildquelle: Klei Entertainmet

Videospiele erzählen uns in der Regel wenig über das reale Leben. Auch wenn manch ein Spieleentwickler gern das Gegenteil behauptet. Aber weder haben die grafischen Fortschritte Spiele wie die Realität werden lassen, noch ist die viel beschworene Verschmelzung von Videospiel und Film je gelungen, ohne dabei die Grundidee des Spielens preiszugeben (man denke an den großspurig angekündigten Quicktime-Krimi „Heavy Rain“). Dabei steckt in der Lust am Spielen, am Erkunden anderer Pseudo-Realitäten einiges an Hinweisen über die menschliche Natur.

Ein Spiel, das diese Erkenntnisse dank seiner Reduzierung auf das Wesentliche besonders unterstreicht, ist der Indie-Hit „Don’t Starve“. In klassischer Survival-Manier muss der Spieler in einer unwirtlichen Welt das eigene Überleben sicherstellen. Der Clou daran: keine Savegames. Wer stirbt, muss ein neues Spiel beginnen. Dadurch führt „Don’t Starve“ den Spieler direkt zu den Bedingungen seiner eigenen Existenz.

Du erwachst in einer fremden Welt. Eine Art Schöpfer-Bösewicht teilt dir noch mit, dass du dir besser etwas zu essen suchen solltest, ehe du völlig dir selbst überlassen wirst. Zwar gibt es auch einen Story-Modus, aber im Grunde erfährt man nie warum man wie hierher gekommen ist. Was bleibt, ist die eigene Spekulation. Doch dafür ist kaum Zeit.

Die Nacht naht und mit ihr die Dunkelheit, die tödlich ist. Brennmaterial muss beschafft werden und dafür am besten eine Axt gebaut werden. Überall lauern Gefahren: Riesenspinnen kreuzen in der Dämmerung deinen Weg, Gewitter drohen deine Basis zu vernichten. Kein Wunder, dass man bei all dem hin und wieder ein paar Blumen pflücken muss, um den Verstand zu beruhigen. Jeder Fortschritt, jede Erleichterung des Daseins ist mühsam der Natur abgerungen. Bis zum Kühlschrank, Trockenfleisch und einbruchsicherem Lager ist ein weiter Weg. Und dann wird es plötzlich Winter und auf der Farm wächst kein Gras mehr.

Der Spieler ist bei all dem buchstäblich Gefangener seiner Bedürfnisse. Ernährung, Gesundheit und ein  klarer Verstand müssen bewahrt werden und treiben immer weiter. Verschnaufpausen gibt es kaum. Die unausgesprochene Hoffnung bei allem Tun ist jedoch genau das: Irgendwann durchatmen können, irgendwann diese eigentümliche Welt beherrschen. Allerdings wird einem fortschreitender Spieldauer schmerzlich bewusst, dass man selbst Teil dieser Welt ist und diesen weltlichen Teil in sich nicht ausmerzen kann.

Diese grundsätzliche Aussichtslosigkeit wird durch die Logik des „Endlosspiels“ zusätzlich verschärft. Wie bei einer Wirtschaftssimulation gibt es kein vordefiniertes Spielende. Man spielt so lange weiter, bis man eben stirbt. Gepaart mit der angesprochenen Sinnlosigkeit, dem ahistorischen Geworfensein in diese Welt, ergibt sich eine zentrale Frage: Warum dann überhaupt Videospiele spielen?

Die eigentliche Freiheit des Spielers bei Videospielen besteht immer in der Freiheit zu versagen. Man kann bei Tetris die Blöcke bis zur Decke stapeln, anstatt Linien zu füllen. Aber im Grunde spielt man dann nicht. Erst wenn man sich den Gesetzen, Bedürfnissen und Besonderheiten der virtuellen Welt hingibt, beginnt das Spielerlebnis. Sobald man dies aber tut, verabschiedet man sich von der radikalen Freiheit, die uns die Virtualität immer schon versprochen hat. Bei „Grand Theft Auto“ steht es dem Spieler frei, Passanten aus einem fahrenden Auto heraus zu erschießen. Das ist ein beachtlicher Grad an Freiheit und gewiss der Hauptgrund für der Erfolg der Serie. Aber selbst in dieser offenen Welt herrschen Naturgesetze, die der Entwickler gottgleich entworfen hat. Der Amoklauf fügt sich diesen Gesetzen. Der Sprung vom Hochhaus widersetzt sich ihnen, führt aber zum Ende des Spiels.

Bei „Don’t Starve“ stehen wir also vor der selben Entscheidung: Akzeptieren wir die Bedingungen und spielen das Spiel oder tun wir es nicht? Der Überlebenskampf, dieses radikal reduzierte Spielprinzip, führt nun dazu, dass wir uns ganz auf die wesentliche Lustquelle allen Spielens konzentrieren können: Das Entdecken der von einer fremdem Macht gestalteten unveränderlichen Naturgesetze und deren Nutzbarmachung für unsere Zwecke.

Diese Art der Betätigung kann süchtig machen, ausgelöst durch die Ausschüttung von Glückshormonen seitens des Belohnungssystem in unserem Gehirn. Evolutionstheoretisch würde dies Sinn ergeben. Der Natur eine Schnippe zu schlagen, ihre Kräfte für sich zu nutzen, war in früherer Zeit mindestens so überlebenswichtig, wie der Konsum von Salz oder Fetten. Und wir alle wissen wie süchtig Chips machen können. Auch „Don’t Starve“ macht süchtig und beantwortet die Frage nach dem Warum des Spielens damit von selbst:

Aller Diskrepanz zur Realität zum Trotz, gleicht das Spiel dem wirklichen Leben in einigen wesentlichen Punkten. Entscheidend ist jedoch, dass sich die elementaren mentalen Prozesse (sowohl die erbrachte Leistung als auch die erhaltene Belohnung) extrem ähnlich sind. Deshalb können uns die angesprochene Sinnlosigkeit und die Mühsal in beiden Fällen nicht davon abhalten, dem Abenteuer weiter nachzugehen. Wir spielen also das Spiel (vermutlich jedes Spiel) aus den gleichen Gründen, aus denen wir auch das Leben leben. Und das obwohl wir jeweils genug Gründe hätten es nicht zu tun.

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