Zur Sicherheitsdebatte

Sicherheit

Mai 2013

Der Traum von der Sicherheit

Auf dem Weg zu einem Termin überhole ich in der Fußgängerzone eiligen Schrittes einen Kinderwagen. Das darin sitzende Kind sieht mich mit großen Augen an. Ich schneide eine Grimasse, so viel Zeit muss sein, und wir müssen beide lachen. Mein Blick geht wieder nach vorne, halbhoch, und da hängt sie: eine halbrunde schwarze Kugel, völlig unscheinbar, und doch hat sie gerade mein Späßchen aufgezeichnet, dass doch eigentlich ein Geheimnis zwischen mir und dem Kind bleiben sollte. Ich halte an. „Warum hängst du da?“, frage ich die Überwachungskamera mit gerunzelter Stirn. Sie gibt keine Antwort. Gleichwohl ist das ihr Job. Wenn jemand eine Frage hat, dann soll sie die Antwort liefern. Wer war wann wo und warum.

Ob ich nun schon verdächtig bin? Wie ich da so mir nichts, dir nichts, mitten in die unsichtbare Linse starre. Ich senke meinen Blick und sehe zu, dass ich das Sichtfeld dieses dunklen Halbmonds verlasse.

Stellt man die gleichen Fragen einer zuständige Behörde, etwa dem Innenministerium, wird man neben diversen Gesetzesbeschlüssen und Bundestagsdebatten vor allem auf ein Schlagwort verwiesen: Sicherheit. Die Überwachungskamera in der Fußgängerzone in Stuttgart-Mitte dient meiner Sicherheit. Und der des Kindes, der Mutter, der Passanten, der Waren, der Tauben auf dem Dach.

Und das grandiose i-Tüpfelchen der Geschichte: Es kräht so mancher Hahn danach. Allen voran unser Innenminister, Herr Friedrich. Der ist der Meinung, dass wir noch mehr von diesen unscheinbaren Apparaten brauchen. Erst recht nach den Anschlägen auf den Boston Marathon. Und überhaupt, Überwachungskameras können nur eine Speerspitze im Kampf gegen Verbrechen, Unsittlichkeit und Terror sein.

Wir brauchen eine ganze Phalanx an Möglichkeiten, mit der wir unsere Werte, unsere Demokratie verteidigen können. Nicht einkesseln, aber doch irgendwie abschirmen. Abschirmen gegen die Bedrohung, die keine kommunistische mehr ist, die nicht von jenseits der Grenzen kommt, sondern keine Grenzen mehr kennt und es als solche erforderlich macht, die gängigen Grenzen unserer Staatsverteidigung entsprechend weiter zu fassen.

Und dann sind da die Bürger. Die lieben ihre Sicherheit seit jeher. Sie liebten es, als ihre Renten sicher waren, sie lieben sichere Autos, ihre Vollkaskoversicherung und nicht zuletzt die Sicherheit an sich. Die jedoch am allermeisten. Denn mit Sicherheit an sich ist nicht weniger als ihre eigene körperliche und materielle, mithin existenzielle Sicherheit gemeint. Diese wiederum wird im politisch-korrekten Verständnis nur von einer Sorte Mitmenschen bedroht: den Kriminellen. Um also die wichtigste aller Sicherheiten zu sichern, muss man möglichst effektiv Verbrechen bekämpfen.

Das geht ohne Überwachungskameras, Vorratsdatenspeicherung und Bundestrojaner aber nicht. Sagen die Experten. Also, der Herr Friedrich zum Beispiel. Und die müssen es ja wissen.

Wie wichtig den deutschen Bürgern und damit auch den Politikern die Sicherheit mittlerweile ist, wird deutlich, wenn man die großen politischen Entscheidungen der letzen Jahre betrachtet. 2003 war Joschka Fischer „not convinced“ (nicht überzeugt, nicht sicher), dass ein Krieg gegen den Irak nötig sei. 2011 torpedierte die Bundesregierung die von ihr eingeleitete Torpedierung des Atomausstiegs, als ein Tsunami im japanischen Fukushima einen Supergau zur Folge hatte.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Deutschland von einem Tsunami heimgesucht wird ist zwar äußerst gering, aber man kann sich halt nie sicher sein. Und nun, im Jahre 2013, diskutieren wir sogar wieder über ein allgemeines Tempolimit auf unseren Autobahnen. Aber nicht wegen dem Klima. Wegen der Sicherheit. Die Ideen des Herrn Friedrich fallen also auf fruchtbaren Boden.