Die unerträgliche Qual der Bundesjugendspiele

Bundesjugendspiele

#Bundesjugendspiele 1999. Ich warte noch sehnlich auf meinen großen pubertären Wachstumsschub, da wirft Fabian mit seinem 40 cm Oberarm schon doppelt so weit wie ich. Wie auch in den Jahren zuvor bleibt mir als sportlich eher ungeförderte Bohnenstange nur die Teilnahmeurkunde. Und ja, es gab Momente, da schmerzte es. Die Ergebnisse waren öffentlich einzusehen und ich musste mich meist hinknien, um meinen Namen auf der Liste zu finden. Ich empfand den Zwang zur Teilnahme als Nötigung. Aber rechtfertigt das allein ihre Abschaffung?

Stellen sie sich vor, man würde sie auf eine Bühne zerren und sie dazu verdonnern, eine Opern-Arie zu singen. Vor ihnen sitzt die gesamte Belegschaft, also Freunde, Feinde und diese gehässigen Tratschonkel aus dem Controlling. Stellen sie sich weiterhin vor, sie könnten ein hohes h nicht von einem tiefen c unterscheiden. Keine allzu schöne Phantasie, richtig?

Angenommen, jeder aus der Belegschaft müsste auf die Bühne und jeder müsste die selbe Arie zum Besten geben. Zudem beschäftigt ihr Unternehmen zufälligerweise eine überdurchschnittlich große Anzahl relativ begabter Sänger. Wer gut singt, ist außerdem besonders beliebt, da musikalisches Talent in ihrer Firma als äußerst positive Eigenschaft angesehen wird. Über die Nichtskönner lacht man sich derweil herzlich kaputt. Ein Jobwechsel ist unmöglich.

Immer noch keine nette Vorstellung. Nehmen sie jetzt aber an, dass ihr Auftritt bis auf die Demütigung keine negativen Konsequenzen für sie hat. Sie dürfen ihren Job behalten, ihr Gehalt bleibt gleich und auch ihr Beliebtheitsgrad innerhalb ihrer Abteilung sinkt dadurch nicht weiter, da ihr Nicht-Talent bereits jedem aus der montäglichen Chorstunde bekannt ist. Außerdem ist Singen äußerst gesundheits- und lebensqualitätsfördernd und ihr Defizit, bei Lichte betrachtet, eigentlich eine grobe Fahrlässigkeit ihrerseits. Zumindest Notenlesen sollten sie echt mal lernen.

Sollte man das jährliche Wettsingen nun abschaffen oder nicht? Oder anders gefragt: Verletzt es sie in ihren Rechten? Dann ist der Montagschor auch eine Verletzung ihrer Rechte, ebenso wie überhaupt jede Form von erzwungener öffentlicher Leistungsbestimmung, sprich das nicht-kündbare Arbeitsverhältnis selbst.

Ein Staat funktioniert nicht ohne Zwang. Ebenso wenig ein Schulsystem. Entscheidend sind die Grenzen dieses Zwanges. Niemand wird bestreiten wollen, dass die allgemeine Schulpflicht etwas Gutes ist. Schulsport ebenfalls. Warum dann nicht die Bundesjugendspiele? Wohl einzig deshalb, weil sie den allgemeinen Zwang unnötig ausweiten. Das ist ein legitimer Grund, aber diskussionswürdig. Wieviel Zwang sollten wir unseren Kindern im Sinne ihrer Entwicklung und Bildung vernünftigerweise zumuten? Welche Ziele rechtfertigen einen solchen Zwang?

Ich war oft krank an diesen Tagen im Juni. Aber oft war ich auch dort. Und dann war schulfrei.