White Privilege, na gut. Ich bin das, was in unwitzigen Til-Schweighöfer-Komödien eine Kartoffel genannt wird. Oder seit neuestem auch: „Alman“. Ich bin männlich, weiß und ein bisschen zu gebildet, um mich in die ganz wilden Abenteuer zu stürzen. Ein bisschen zu gut erzogen, um mich so oft zu prügeln, wie ich es gerne täte und ein bisschen zu deutsch, um mich um die ganz großen internationalen Angelegenheiten zu scheren.
Wenn mir jemand sagt, ich solle dieses So-Sein kritisch reflektieren, also eine kritische Kartoffel werden, empfinde ich das als Anmaßung oder wahlweise als absurd. Dass schwarze Leben von Belang sind, scheint mir eine triviale Feststellung. Mein Instagram-Profil auf ein schwarzes Testbild umzuschalten, käme mir nie in den Sinn: Hautfarbe, Rasse, Herkunft – all das spielt in meinem Leben keine Rolle. Es sei denn, ich brauche das Rezept für indisches Curry, dann frag ich Etisham. Und wenn ich schon wieder vergessen habe, wie man aus einer Orange und einer Plastikflasche eine Wasserpfeife baut, frage ich natürlich Karam. Ansonsten aber ist mir das alles egal. Geschwärzte Social-Media-Seiten wären heuchlerisch.
Allerdings, das muss ich zugeben, finde ich die türkische Anne aus dem Döner-Laden meines Vertrauens besonders liebreizend. Wie sie ihr Kopftuch trägt, kein Wort mit mir spricht, aber die beste Pide der Stadt zubereitet. Und die schwarzen Jungs im Fußballkäfig sind irgendwie besonders süß, zum In-die-Backe-Kneifen eben. Da kann der blonde Jonathan nicht mithalten. Der hat ja nicht mal den Mumm für ein Abenteuer.
Hautfarbe, Herkunft, Sprache – vielleicht ist mir das nicht alles ganz egal. Vielleicht verfalle ich deshalb in Kanaksprak, wenn mich auf der Straße ein südländisch aussehender Mann in nicht ganz perfektem Deutsch nach dem Weg fragt. Und vielleicht kommt mir meine Sicht der Dinge nur so neutral vor, weil mein Leben so seltsam frei von Momenten ist, in denen mein Aussehen, meine Sprache oder meine Herkunft zum Thema werden. Manchmal fragt man mich, ob ich Deutscher bin, das stimmt. Dann nicke ich und vielleicht denkt sich Mohammed seinen Teil. Aber ich bin Stammkunde, also rasiert er mir einen Strich in den Scheitel und verkneift sich jeden Kommentar. Manchmal sagen meine Kumpels, dass sei typisch „Alman“, dabei sind die selbst so Deutsch wie Abendbrot. Sie meinen dann meinen aufgeräumten Werkzeugkoffer oder die Detailversessenheit, mit der wir den Biervorrat für unser Männerwochenende zusammenstellen.
Hautfarbe, Herkunft, Rasse – all das spielt keine Rolle für mich, weil ich die Sprache spreche, die Esperanto heißt, weil ich die Hautfarbe habe, die man nicht sieht und weil ich der „Rasse“ angehöre, anhand der man die anderen bestimmt. Ich bin das Universelle. Ich bin der Nullpunkt. Das Licht, das auf Etisham, Karam und Mohammed strahlt und sie Schatten werfen lässt.
Die Aufforderung, mein So-Sein kritisch zu reflektieren, empfinde ich daher als absurd, weil mein So-Sein für mich gar nicht existiert. Ich empfinde sie als anmaßend, weil ich doch ein blitzsauberes Alibi habe: Als die Hautfarben verteil wurden, war ich in den Ferien. Aber sie ist nötig, sofern irgendwann ein Universalismus existieren soll, dessen „men“ in „All men are created equal“ tatsächlich mit „Menschen“ übersetzt werden kann und nicht mit „weißen Menschen“ oder „so-und-so Menschen“. Sofern irgendwann niemand mehr aufgrund seiner Abstammung einen Schatten werfen soll.
Vor diesem Hintergrund schält sich eine Aufgabe für uns alle heraus, ungeachtet der Hautfarbe, Herkunft oder Sprache: einen solchen Universalismus zu formulieren, zu festigen, zu verwirklichen. Andere Ideale zu entwickeln, die nicht auf nur vermeintlich universellen Eigenschaften fußen. Auf dass Toleranz nicht mehr bedeuten kann, dass die glücklichen Universellen die davon Verschiedenen großzügigerweise akzeptieren. Auf dass Identitätspolitik sich nicht mehr darum drehen kann, Gruppen trotz ihres Verschiedenseins mit den gleichen Rechten auszustatten, weil dieses Verschiedensein nur noch als Lappalie empfunden wird – von den heute Universellen und den heute Partikularen. Und: Auf dass Til-Schweighöfer-Filme nicht länger als witzig gelten.
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