Kopftuchverbot im Gerichtssaal: Diskriminierung?

Kopftuchverbot

Das bayrische Verfassungsgericht hat ein geltendes Kopftuchverbot für Richterinnen für verfassungsgemäß erklärt (es ist natürlich kein Kopftuchverbot, sondern ein Verbot des Tragens religiös oder weltanschaulich konnotierter Kleidungsstücke oder Symbole). Die Argumentation lautet, dass das Tragen solcher Kleidungsstücke oder Symbole im Widerspruch zur gebotenen Neutralität der Justiz stehe. Es könne zu Zweifeln bezüglich der richterlichen Unparteilichkeit kommen.

Anders ausgedrückt: Wer Kopfttuch oder Kippa trägt, bringt damit eine persönliche Weltanschauung zum Ausdruck, die im Gerichtssaal nichts zu suchen hat. Die Richterrobe soll das Individuum, das ein staatliches Urteil zu fällen hat, verhüllen, aufheben, aus seinem Verblendungszusammenhang lösen. Sich ein Kreuz oder eine Hells Angels-Kutte umzuhängen, sendet gegenteilige Signale. Die Sache handelt also von Framing (LOL).

Schon wieder dieses Framing

Christian Rath hat nun in der taz seiner Empörung über dieses Urteil Luft verschafft. Dort schreibt er, die Urteilsbegründung billige die Unterstellung, eine Richterin würde, weil sie „als Muslim erkennbar ist“, nicht nach Recht und Gesetz urteilen. Das steht so natürlich nicht in der Urteilsbegründung.

Raths Punkt lautet: Die Bürger sollen gefälligst an ihren Vorurteilen arbeiten, anstatt von Richtern und Richterinnen eine neutrale Erscheinungsweise zu verlangen. Dieser kritischen Selbstreflektion schiebe das Urteil des Verfassungsgericht nun einen Riegel vor: Schon okay, liebe Bürger, wir finden Muslime auch etwas spooky, sorgen wir mal lieber dafür, dass sie nicht in unseren Gerichtssäalen arbeiten.

Vorurteilen Vorschub leistend?

Was er dabei nicht verstehn will, ist, dass das Urteil derlei Vorurteile keinesweg gutheißt, sondern sie nur als möglich voraussetzt. Doch Rath wäre nicht rechtspolitischer Korrespondent der taz, hätte er nicht noch ein paar Pfeile im Köcher.

Auch er ist der Überzeugung, dass das Individuum in der Richterrobe sozusagen verschwindet. Deshalb könne auch eine Frau über das Sorgerecht eines Mannes entscheiden, ein dunkelhäutiger Mensch über Diskriminierungsfragen, usw. Nur bei Musliminnen werde das plötzlich anders gesehen, deren Kopftuch rechtfertige natürlich allerlei Zweifel, die Geschlecht oder Hautfarbe nicht aufkommen lassen.

Die Richterrobe als Tarnmantel des Individuums

Leider hat Herr Rath in seiner Argumentation übersehen, dass die Hautfarbe oder ein weibliches Erscheinungsbild nicht mit einer Weltanschauung korrelieren. Wer aber Kippa, Hells Angels-Kutte oder Kopftuch trägt, der sagt: Ich habe die und die Überzeugung. Er sagt es, ganz offen, demonstrativ, mal aus Zwang, mal mit Stolz, aber immer bewusst.

Diese Möglichkeit des persönlichen Ausdrucks wollen die bayrischen Verfassungsrichter den Richtern ihres Landes nicht zugestehen. Wegen des Framings der Institution Justiz, das da lauten soll: Wir sind unparteiisch. Denn gerade weil der Amtsträger in der Gerichtsverhandlung hinter dem Amt zurücktritt, wirkt sich sein Erscheinungsbild direkt auf das Amt und damit auf die Wahrnehmung der staatlichen Justiz aus. Wer auf den Richterstuhl steigt, sagt damit: „Ich bin der Staat“. Und wer dabei Tränentattoos trägt, sagt: „Und der Staat ist eine Gang.“ Das steht übrigens so in der Urteilsbegründung (Punkt 29).

Kruzifix, noch einmal!

Jetzt kann man sich herzhaft über die Widersprüchlichkeiten in diesem Framing aufregen, was Herr Rath natürlich auch tut, und etwa die Frage stellen, weshalb dann Kruzifixe in Gerichtssälen hängen. Aber das ist dann eben ein anderer Punkt, weil der Richter dieses Kreuz vielleicht ziemlich bescheuert findet, obwohl er dort arbeitet. Wir wissen es nicht, er hat es nicht gesagt. Er trug kein T-Shirt, auf dem stand: Nieder mit den Kruzifixen!

Bedauernswert an dem Urteil ist, dass Musliminnen, die auf ihr Kopftuch nicht verzichten wollen, oder Juden, die ihre Kippa nicht ablegen möchten, den Beruf des Richters vor diesem Hintergrund nicht ausüben können. Aber wer das ändern will, muss eben gegen die Argumentation der Verfassungsrichter argumentieren. Und nicht „Diskriminierung!“ schreien. Denn Diskriminierung beginnt dort, wo sie ungerechtfertigt ist, wo Verfassungsgüter kollidieren und falsch entschieden wird. Nicht dort, wo manchen Menschen aus nachvollziehbaren Gründen in speziellen Kontexten etwas verboten wird.