Der Schlosskatalog der Stasi und die Crypto Backdoor

Schlosskatalog Stasi

Bei höheren Geschwindigkeiten konnte man sich im Trabant kaum noch unterhalten. Womöglich reichte man sich deshalb Zettel hin und her, vielleicht aber auch damit niemand anderes zuhörte. Denn die Staatssicherheit der DDR war ungemein interessiert an den Gesprächen der Bürger – und stellte vielleicht ganz ähnliche Vermutungen über deren Beifahrerkultur im Trabant an. Zumindest wäre das eine Erklärung für den Eifer, mit dem sich die Staatssicherheit Zugang zu den Trabanten ihrer Bürger verschaffte: In einem „Schlosskatalog“ listete sie penibel allerlei Schlösser und Wege in das von ihnen versperrte Innere auf, darunter selbstredend auch der Trabant. Für das Auto existierte gar eine Art Universal-Dietrich, ein komplexes, handliches Gerät zum Auslesen des Schlosses, das daraufhin geknackt und dessen Code für den weiteren Gebrauch gespeichert werden konnte. Im Inneren des Wagens angekommen, suchten die Mitarbeiter der Staatssicherheit vielleicht nach solchen Zetteln, nach Fotos, Karten, oder entwendeten das Sitzkissen, um eine Geruchsprobe sicherzustellen.

Was die Staatssicherheit nicht tat, obwohl es aus der Retrospektive naheliegend scheint: Sie ließ in den Trabantwerken keine Schwäche im Schloss verbauen, keinen Universalschlüssel anfertigen, der für alle einzelnen Wagenschlösser funktionieren und das riskante wie zeitaufwändige Knacken überflüssig machen würde. Sie blieb beim Dietrich. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren: Wollte man den Arbeitern in den Werken derlei Informationen nicht zukommen lassen? Sollte die Illusion eines sicheren Gefährts aufrechterhalten werden, damit es die Bürger überhaupt mit möglicherweise kompromittierenden Zetteln spickten? All das bleibt im Dunkeln.

Weshalb darüber reden?

Fraglich bleibt außerdem, ob diese Geheimhaltung des staatlichen Überwachungszwangs, seiner Paranoia und seines darin enthaltenen Terrors ein weiterer Makel des DDR-Regimes war oder Ausdruck einer wenigstens noch latent vorhandenen Angst vor den eigenen Bürgern, eines oberflächlichen Bemühens um den Anschein einer demokratischen Staatsordnung. Um diese Frage kreist die Einschätzung EU-weiter Bemühungen um eine Hintertür in der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung.

Gewiss, in den aktuellen Resolutionen und Aktionsplänen der EU geht es nicht um einen Universal-Dietrich – diesem entspricht der Staatstrojaner – sondern um jenen Universalschlüssel von Werk aus, vor dem die Staatssicherheit der DDR zurückschreckte. Aber was bedeutet es, dass die verantwortlichen Politiker darüber sprechen? Dass sie Argumente finden, die sich von denen des DDR-Regimes nicht unterscheiden: Wir müssen das Verbrechen bekämpfen, deshalb lesen wir manchmal die Zettel in euren Trabanten und die Zettel, die ihr euch auf euren Smartphones hin- und herschickt. Dass sie darüber sprechen und Protest erfahren, öffentlich und laut, und dann, wie so oft, diesen Protest und seine Argumente ignorieren? Auch das bleibt im Dunkeln.