Bisschen Israel-Boykott geht immer

Israel-Boykott

Nachdem der Bundestag in einer Resolution die sogenannte BDS-Bewegung („Boycott, Divestment and Sanctions“) und ihren Israel-Boykott als antisemitisch verurteilt hat, springen der israelkritischen Kampagne jetzt 16 Nahost-Expertinnen und Experten per offenem Brief zur Seite. Am Ende des Bekennerschreibens finden sich so illustre Namen wieder wie Prof. Dr. Helga Baumgarten, die gerne mal die Terrororganisation Hamas als lupenreine Demokraten bezeichnet. In den linken Kreisen, die halbwegs bei Verstand sind, gilt sie daher als Hamas-Apologetin. Der Rest der Riege ist allerdings nicht negativ aufgefallen.

Aber wo sich Lungenfachärzte verrechnen können, können Politikwissenschaftler sich eben auch verargumentieren. Das beginnt schon bei der Erläuterung der BDS-Bewegung und ihrer Ziele. „Gewaltlos“ wolle sie vorgehen, die „Besatzung von Westjordanland, Gazastreifen und Ostjerusalem“ beenden und das „Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge“ durchsetzen. Klingt erstmal super, diese BDS.

Definiere Besatzung

Die Definition der Besatzungszone seitens der Experten ist allerdings bereits schief, denn viele BDS-Unterstützer sagen „Besatzung“ und meinen damit ganz Palästina, also auch das Staatsgebiet Israels seit der Gründung 1948. In ihrer Grundüngserklärung verlangt die Bewegung ein Ende der „Besetzung und Kolonisation allen arabischen Landes“ – allen? Allen.

Das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge wiederum hängt am Flüchtlingsstatus der Palästinenser, der als einziger Flüchtlingsstatus der Welt vererbt wird. Der Libanon und andere arabische Staaten haben nämlich keine Lust, die Kinder von palästinensischen Flüchtlingen als ihre Staatsbürger zu akzeptieren. Das hat zur Folge, dass die Zahl dieser Flüchtlinge mit vermeintlichem Rückkehrrecht mittlerweile auf geschätze 6 bis 8,5 Millionen angewachsen ist.

Israels Bevölkerung von 9 Mio. setzt sich aus etwa 6.7 Mio. Juden und 1,9 Mio. Arabern zusammen. Würden also alle palästinensischen Flüchtlinge nach Israel zurückkehren, würde Israel aufhören, ein jüdischer Staat zu sein. Die Juden wären in ihrem eigenen, explizit zu ihrem Schutz geschaffenen Staat in der Minderheit.

Jüdischer Staat mit Juden als Minderheit?

Eigentlich sollte die Gründung des Staates Israels garantieren, dass Juden nie wieder in der Minderheit sein müssen. Die Unterzeichner des offenen Briefs gehen über diesen kleinen Fakt geflissentlich hinweg. Für sie sind die Forderungen der BDS-Kampagne offenbar völlig legitim.

Der einzige kritische Satz in ihrem Schreiben ist dann so verkrampft formuliert, dass es weh tut: Die BDS-Bewegung lege sich nicht auf eine Zwei-Staaten-Lösung fest und spreche sich daher nicht eindeutig für ein „Selbstbestimmungsrecht des jüdischen Volkes“ aus. An dieser Stelle hätte man schreiben können: für das Existenzrecht des Staates Israels. Aber aus irgendeinem Grund steht da was von Selbstbestimmungsrecht.

Aber was soll’s, weltweit gibt es Unterstützer, sogar Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu ist dabei. Der hat immerhin schon 2002 Israel als Apartheidstaat bezeichnet. Der Mann ist also vom Fach.

Wirre Argumente, die im Nichts enden

Dass der (wohlgemerkt deutsche) Bundestag mit der ganzen Kauft-nicht-bei-Juden-Sache nichts zu tun haben will, können die Experten nicht so recht verstehen. Immerhin gibt es ja auch rechten Antisemitismus in Deutschland. Und der ist statistisch schließlich viel ausgeprägter (weiß man aber nicht so genau). Warum sich also mit dem BDS aufhalten? Oder warum ein in der Donau ertrinkendes Kind retten, wenn in der Nordsee ein Kreuzfahrtschiff havariert? Ergibt doch keinen Sinn!

Die pauschale Verurteilung der BDS-Bewegung seitens des Bundestags sei aber ohnehin ungerecht, denn die Bewegung distanziere sich klar von jeglichem Antisemitismus. In der verlinkten Erklärung gibt die BDS dann auch artig zu Protokoll, dass es hier nicht um Rasse oder Religion geht, sondern lediglich um einen Staat und um Zionismus. Zionismus wiederum, dass muss man wissen, hatte einst einen jüdischen Staat zum Ziel und will diesen nun bewahren. Nur dagegen ist die BDS-Kampagne also, nicht gegen Juden an sich. Die dürfen gern irgendwo leben (Selbstbestimmungsrecht), nur halt nicht da, wo sie jetzt gerade leben (Existenrecht Israels).

Die Sache mit der Israelkritik

Außerdem stehe im Beschluss des Bundestags nicht mehr explizit drin, dass Kritik an israelischer Politik natürlich zulässig ist. Das hielt der Bundestag für selbstverständlich und hat es deshalb gestrichen. Die Experten halten das für überhaupt nicht selbstverständlich, warum genau sagen sie nicht. Nur dass die israelische Regierung aktiv gegen ihre Kritiker vorgehe und versuche, die Grenze zwischen Kritik und Antisemitismus zu ihren Gunsten zu verwischen. Netanjahu ist also kein Demokrat und deshalb darf man nicht gegen die BDS-Kampagne sein?

Was für Selbstbestimmungsrecht

Zuguterletzt müsse man dringend zwischen israelischem Staatsgebiet und von Israel besetzten Gebieten unterscheiden. Also jedenfalls der Bundestag, die BDS-Bewegung darf da gern mal etwas unpräzise sein. Die Experten schließen ihren Brief mit einigen politischen Befürchtungen, in denen sie unter anderem die Meinungsfreiheit in Gefahr sehen und kommen dann doch nochmal pointiert auf den Punkt: Die Bundesregierung solle doch auf eine Konfliktregelung hinarbeiten, die das „Selbstbestimmungsrecht“ beider Völker achtet.

Als die BDS-Kampagne gegründet wurde, erkannte die israelische Regierung ihr Potenzial. In ihrer Bekämpfung geht es den Israelis nicht um die Frage des Boykotts, sondern darum, ob es den BDS-Unterstützern gelingen wird, das Existenzrecht Israels international zur Diskussion zu stellen. Die Unterzeichner des offenen Briefs konnten sich nicht dazu durchringen, es explizit nicht zur Diskussion zu stellen. Vielleicht ist der Beschluss des Bundestags nötiger gewesen als gedacht.