Peter Singer von der phil.cologne ausgeladen

Singer Phil Cologne

Der australische Philosoph Peter Singer wurde kurzfristig vom gestern gestarteten Philosophie-Festival „phil.cologne“ in Köln ausgeladen. Als Begründung geben die Veranstalter die seitens Singer in einem Interview mit der Neuen Züricher Zeitung getätigten Äußerungen zum Thema Pränataldiagnostik und Behinderung an. Die von Singer vertretenden Standpunkte stünden im Widerspruch zum „humanistisch-emanzipatorischen Selbstverständnis“ der Veranstaltung.

Zudem sei eine Diskussion zum ursprünglichen Thema „Retten Veganer die Welt?“ unter diesen Umständen nicht möglich. Da Singer in nahezu jedem Interview zu seinen Ansichten über den Wert von embryonalem oder behindertem Leben befragt wird und seine Positionen hierzu seit mehr als 30 Jahren bekannt sind, mutet diese Entscheidung seltsam an. Noch viel seltsamer ist jedoch, dass sich ein Philosophie-Festival offenbar öffentlichem Druck beugt und der freien Diskussion einen Riegel vorschiebt.

Die Kritiker Singers heben für gewöhnlich seine Kategorisierung unterschiedlicher Lebewesen hervor. Pflanzen verdienen laut Singer keinerlei moralische Berücksichtigung, Hühner aufgrund ihrer Fähigkeit Schmerzen zu empfinden durchaus und selbstbewusste Tiere wie Mensch und Schimpanse haben gar einen moralischen Status inne, der einem Recht auf Leben gleichkommt.

An dieser Einteilung ist zunächst noch nichts Niederträchtiges zu finden. Problematisch werden Singers Kategorien nach Meinung der Kritiker erst, wenn sie mit (menschlichem) Leben gefüllt werden. Der menschliche Embryo fällt nämlich in die selbe moralische Kategorie wie ein Gänseblümchen, da er weder Schmerzen empfindet noch über Selbstbewusstsein verfügt. Der Embryo hat schlicht keine Interessen, die wir verletzen könnten.

Aufschrei aus dem konservativen Lager

Natürlich sorgt dies für einen Aufschrei im konservativen und christlichen Lager. Immerhin spricht Singer Frauen damit ein Recht auf Abtreibung zu. Gleichzeitig rechtfertigt er so auch die Prä-Implanations-Diagnostik, sprich: die Wahl zwischen mehreren Embryos, von denen nur einer überleben darf und in die Gebärmutter eingesetzt wird. Hierbei wird man meistens einen gesunden Embryo behinderten Embryos vorziehen.

Allerdings beschränkt sich diese Wahlmöglichkeit nicht auf den Embryo. Denn innerhalb von Singers Ethik findet sich kein Weg, das Töten von Neugeborenen absolut zu verbieten. Ihnen fehlt das nötige Selbstbewusstsein, welches sie mit in die Zukunft gerichteten Interessen austattet und so überhaupt ein Interesse an der eigenen Weiterexistenz begründet. Folglich stehen sie moralisch auf einer Stufe mit Hühnern: Es ist nicht erlaubt, ihnen grundlos Leid anzutun, aber das schmerzlose Töten dieser Lebewesen kann unter gewissen Umständen gerechtfertigt sein.

Solche Umstände können laut Singer gegeben sein, wenn ein Säugling schwerstbehindert ist und deshalb für ihn selbst und seine Eltern keinerlei zukünftiges Glück zu erwarten ist. Die Tötung dieses Babys bewahrt alle Beteiligten vor unnötigem Leid und schafft Raum und Zeit für ein anderes gesundes Kind, für das die Eltern andernfalls nicht die erforderlichen Ressourcen aufbringen könnten. Die utilitaristische Kalkulation Singers befürwortet in solchen Fällen daher eindeutig die Tötung des behinderten Säuglings: Die Tötung selbst verletzt keine Interessen, befriedigt aber etliche andere.

Utilitarismus als Kernproblem

Das Verstörende an Singers Argumentation entspringt also ihrer utilitaristischen Basis. Eine Handlung ist gut, wenn sie in der Summe das Gute befördert. Das Gute ist in Singers Fall die Befriedigung von Interessen. Das im Interview mit der NZZ angesprochene Beispiel der Folterung eines Babys zum Wohle der gesamten Menschheit ist nur eines von vielen Szenarios, die diesem Umstand Ausdruck verleihen. Abseits der Bioethik ist uns diese Problematik ebenfalls bekannt. Ist es zulässig ein von Terroristen entführtes Flugzeug abzuschießen, das auf das ausverkaufte Berliner Olympiastadion zu steuert?

Nun ist es nicht so, dass die Philosophie keine guten Argumente gegen den Utilitarismus hervorgebracht hätte. Diese Argumente existieren. Man könnte also herzhaft öffentlich darüber diskutieren. Und wenn man mit Peter Singer schon einen der berühmtesten Vertreter dieser Position verpflichten konnte, scheint es sich gar um eine einmalige Chance zu handeln.

Die Veranstalter der phil.cologne zogen es allerdings offenbar vor, mit ihm über Veganismus und Weltrettung zu sprechen. Eine Diskussion über das Für und Wider des Utilitarismus erschien ihnen vielleicht schlicht zu abstrakt. Dies sei ihnen zugestanden. Die Diskussion mit Singer dann aber gänzlich abzusagen, weil er zum wiederholten Male kontroverse Positionen zum Wert des Lebens vertritt, zeugt entweder von glänzender Unwissenheit über das Magnum Opus des gebuchten Philosophen oder von mangelndem Widerstandsvermögen gegen den öffentlichen Druck der Empörungsrepublik Deutschland.

In jedem Fall aber hat das Verhalten der Veranstalter nichts mit philosophischer Geisteshaltung zu tun. Denn Philosophie bedeutet immer noch die eigenen Überzeugungen stets von Neuem auf die Probe zu stellen, erst recht wenn man jemanden begegnet, der diesen entschieden widerspricht. Der Ausschluss eines Gegners gehört nicht dazu.