Political Correctness hält eine Armlänge Abstand

Political Correctness

Wann haben Sie zum letzten Mal das Wort „Schwuchtel“ gehört? Am Stammtisch vielleicht, im Stadion. Wahrscheinlich galt es aber gar keinem Homosexuellen. Mittlerweile fungiert es in einschlägigen Kreisen vor allem als Schimpfwort gegen sich vermeintlich unmännlich verhaltene Männer. Das ist noch immer problematisch, aber es ist ein Fortschritt. Die Zeiten, in denen Homosexuelle landesweit wie selbstverständlich als „Schwuchteln“ bezeichnet wurden, sind vorbei. Diesen Erfolg kann sich die Political Correctness auf die Fahne schreiben.

Sie hat ein Bewusstsein geschaffen für die Minderheiten, für deren Ausgrenzung und für die Rolle, die Sprache dabei spielt. Und Bewusstsein ist die notwendige Voraussetzung für Respekt. Minderheiten zu respektieren, funktioniert nicht, wenn man sie nicht mitdenkt, ihre Belange nicht ins Denken und damit in die Sprache einbezieht.

Doch spätestens als Political Correctness institutionalisiert wurde, als sie den Weg in Parteiprogramme und schließlich Gesetzestexte fand, fiel sie ihrer eigenen Begrifflichkeit zum Opfer. An die Stelle des Ausgegrenzten traten die Ausgegrenzten, statt um den Homosexuellen, ging es notwendigerweise um die Homosexuellen. Wie sonst sollte man Parteiprogramme verfassen, wenn nicht mit Rückgriff auf Kollektivbegriffe? Der einzelne Mensch geht unter im politischen Geplänkel, im Medienrummel, in der Agenda.

Verschiebung vom Individuum zur Gruppe

Fortan trat man also etwa ein für die Rechte von Frauen. Gemeint war nicht die einzelne Frau, sondern gerade eine davon abstrahierte, universalistische Idee. Mit dieser Verschiebung von der individuellen auf die kollektive Ebene gingen zwei Dinge einher.

Erstens stellte der chauvinistische Thomas vom Stammtisch sich nicht mehr eine Frau und ihre menschlichen Bedürfnisse vor, wenn er darüber sinnierte, ob Gleichberechtigung ein hehres Ziel sei. Er dachte an die Frauen – eine ebenso anonymisierte wie austauschbare Gruppe, der Oberbegriff für Menschen wie Petra, Aische und Frau Sommer, an die er sich nur zu gut erinnern konnte – an ihre Demütigungen, an ihre Unzulänglichkeiten. Thomas gelangte an seinem Tresen mühelos zu der Einsicht, dass diesen Frauen mit gutem Recht der Respekt verwehrt bleibe und Mehmet von gegenüber nickte zustimmend.

Haben oder Sein

Zweitens war der Homosexuelle nicht mehr qua seines Auch-Menschseins legitimes Ziel von Respekt und Gleichberechtigung. Es galt nicht als Unverfrorenheit, ihn eine „Schwuchtel“ zu nennen, weil er doch auch Gefühle habe, sondern weil er eine „Schwuchtel“ war. Die Zugehörigkeit zu einer Minderheit machte ihn zum Betroffenen und zum schützenswerten Objekt. Das Subjekt verschwand aus der Gleichung, was man ist (Angehöriger einer Minderheit) verdrängte, was man hat (Gefühle, Bedürfnisse, Menschlichkeit). Die Identitätspolitik war geboren.

Political Correctness in ihrer heutigen Form betont daher die Andersartigkeit der Minderheiten, statt diese Andersartigkeit zu nivellieren. Aus „Er ist schwul, aber ein Mensch“ wurde polemisch gesprochen „Er ist ein Mensch, aber schwul“ – und deshalb dürfe man keine beleidigenden Witze über Ihn machen, Sie schlechter bezahlen, usw. Selbst der einzelne Ausgegrenzte wurde dadurch genötigt, sein Merkmal zu betonen, anstatt es für banal zu erklären. Nur so konnte er sicherstellen, von der Gleichberechtigungswelle erfasst zu werden.

Herkunft als ernste Angelegenheit

Deshalb befinden wir uns im Jahr 2019 und machen keine Witze mehr über den Araber, weil er Araber ist. Für uns aber wird er so immer Araber bleiben. Wir sind gänzlich unfähig, mit ihm in einer gemeinsamen Gruppe aufzugehen. Die Political Correctness unserer Tage betont die Andersartigkeit, anstatt sie zu aufzuheben. Dabei liegt noch im rassistischen Witz ein subversives Potential, je nachdem von wem er wann gemacht, an wen er gerichtet ist und ob er die eigene Abstammung miteinschließt. Herkunft kann so ohne Weiteres zu etwas werden, über das man lachen muss.

Die Political Correctness hingegen nimmt Herkunft sehr ernst. Damit stehen ihre Verfechter den rechten Ideologien verblüffend nahe. Noch der Begriff der Identitätspolitik folgt im Duden allzu schnell auf den der Identitären Bewegung. So verwundert es nicht, dass die Linken den Rechten auch in dieser Hinsicht nicht recht beikommen.

Die Armlänge Abstand ist keine Lösung

Die eigentliche Reaktion, der echte Wirkungstreffer gegen die Rechtsnationalen müsste viel radikaler ausfallen: ein Lachen, dass die Unterscheidung anhand von Herkunft, Sexualität und anderen Gruppenzugehörigkeiten beiseiteschafft. Denn nur die Umarmung des Anderen ist wirklich entwaffnend, pathetisch gesprochen. Die Political Correctness aber hält eine Armlänge Abstand und damit eine Struktur aufrecht, die trennt, anstatt zu verbinden. Wenn die Rechten eines Tages demokratische Mehrheiten stellen sollten, werden sie freudig auf diese festgehaltene Andersartigkeit zurückgreifen.

Das berühmte Zitat von Martin Niemöller beschreibt die Schneide, auf der die Political Correctness seit ihrer Instituitionalisierung balanciert:

„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“

Nur wo Gruppenzugehörigkeit zur Essenz erhoben wird, können sich derlei Dinge ereignen. Nun ist die Political Correctness sicherlich nicht allein für eine solche Essentialisierung verantwortlich. Aber sie trägt ihren Teil dazu bei. Deshalb muss sie sich die Frage gefallen lassen, was langfristig mit ihr gewonnen ist.

Bildquelle walkerud97