Der Philosoph Slavoj Žižek hat sich einen Shitstorm eingefangen: In einem Artikel für die NZZ kritisiert er feministische Bestrebungen, die Vagina zu entmystifizieren als Bedrohung des Erotischen. Doch der alte weiße Mann hat einen Punkt und zeigt unentdecktes emanzipatorisches Potential auf.
Was ist passiert? Žižek kommentierte, wie so oft, einen Trend: Die Vulva erobert die Popkultur und das verheißt für ihn nicht nur Gutes. Doch weil es irgendwie um Weiblichkeit ging, regte sich prompt Widerstand. Žižek, der alte weiße Mann, möge also keine Vaginas oder fürchte sich gar vor ihnen, so die freundlichsten Erwiderungen.
Abseits der üblichen provokativen Entgleisungen des enfant terribles der Philosophie, die die Forderung nach der Entmystifizierung von Exkrementen einschließen („Darm mit Charme“ hat er wohl nicht gelesen), geht es Zizek vor allem um Folgendes: Beim Sex haben wir nie mit dem Körper an sich des Gegenübers Sex oder gar (noch wahnwitziger) mit dem Gegenüber an sich. Stets haben wir es mit Abstraktionen davon zu tun.
Žižeks leider von allerhand psychoanalytischen Begriffen verschleiertes Argument lautet, dass es gerade die Überhöhung einer Körperöffnung ist, die deren erotischen Genuss erst ermöglicht. Anders ausgedrückt: Die Realität der Öffnung im klaffenden Fleisch muss übertüncht werden von einer erotisierenden Vorstellung. Eine Vagina im kontextlosen Vakuum namens Körperlichkeit ist ordinär bis abstoßend. Wer je eine deutsche Sauna besucht hat, sollte das ungefähr verstehen. Selbiges gilt selbstverständlich auch für Penisse.
Erotik braucht also den Fetisch auch dort, wo wir nicht von Füßen oder Nylon, sondern vom „normalen“ Geschlechtsakt sprechen.
Žižek stellt der Erotik dabei zur Veranschaulichung die Komik als unversöhnliches Gegenstück zur Seite. Seine KritikerInnen nehmen das zum Anlass, ihn als sexuell Verklemmten zu denunzieren, der nach einem Pups keinen mehr hochbekomme. Aber Žižek geht es nicht um erotische Malheure, die man souverän weglächeln könnte. Sein Argument ist tiefgreifender: Tatsächlicher Sex vollzieht sich ohne ironische Distanz, ohne den Witzemacher, der sich seiner selbst bewusst ist.
Schopenhauer hätte dazu gesagt, den tierischen Ernst gebe es beim Menschen nur im Kampf oder beim Kopulieren. Eben dort, wo die Intensität der Empfindungen ein Ausmaß erreicht, das keine Distanz zum eigenen Handeln mehr zulässt. Neudeutsch spricht man dabei von Immersion.
Wenn Feministinnen nun Menstruationsblutmessen feiern oder Vulva-Workshops die Thermomix-Partys verdrängen (die übrigens ebenfalls mit Fetischisierung arbeiten), sieht Žižek die Gefahr einer Dysfunktionalität des Erotischen. Die Diskussion über die letzte Monatsblutung (Farbe, Konsistenz, Geruch) schafft jene kritische Distanz zum Objekt, die sich in der Erotik eigentlich auflöst. Als Ziel dieser Aktivitäten gilt Žižek die Herrschaft der Gewöhnlichkeit des Biologischen. Die Begierde für das Organ aber ist nur Dr. Hannibal Lecter zu eigen, nicht dem Liebhaber.
Diese Einwände Žižeks deuten seine KritikerInnen als reaktionär und als Reproduktion patriarchaler Herrschaftsverhältnisse. Denn natürlich ist die Mystifizierung der Muschi eine größtenteils männliche Angelegenheit. Doch dabei übersehen die Kritikerinnen das emanzipatorische Potential von Žižeks Theorie, auf das er sogar selbst hindeutet: Überhöht werden kann letztlich alles, wie der Fetisch beweist.
Aber anstatt sich dies zu Nutze zu machen und auf diesem Wege eine Befreiung von patriarchal bestimmter Mystifizierung anzustreben, wird die Überhöhung als Konzept selbst bekämpft. Hier identifiziert Žižek das repressive Moment der genannten feministischen Bestrebungen: Sie arbeiten auf die Abschaffung der Erotik selbst hin, weil sie nicht willens sind, zwischen Patriarchat und dem Konzept der Überhöhung zu unterscheiden.
Nun kann man Žižek dafür kritisieren, dass er den Regelblut-Riots so viel an Wirkmacht zuspricht, dass er selbst fast panisch wirkt. Ob der thematisch angepasste Lockerroom Talk im örtlichen Yoga-Studio oder Fotobände über die Realität der Vulva ihre Kraft wirklich bis in die Schlafzimmer der bürgerlichen Gesellschaft hinein entfalten, ist fraglich. Und ob hinter all dem überhaupt eine solche Absicht steckt ebenfalls.
Ihn als stupiden Verteidiger eigener Vorlieben darzustellen, der nichts verstanden hat, ist aber leider zu billig. Anders gesagt: Auch der Shitstorm speist sich aus einer Faszination für das Überhöhte. Die blanke Realität des Gesagten gibt hingegen kaum Anlass zur Erregung. Wie trostlos.
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