Champions League. Auf der Anzeigetafel läuft die 74. Minute. Eckball für die Bayern. Sie brauchen ein Tor, um ins Halbfinale einzuziehen.
Der Zwei-Meter-Hüne Daniel van Buyten pflügt durch den gegnerischen Strafraum. Franck Ribery spielt den Ball hoch in den Sechzehner, doch der Ball segelt über alle hinweg. Er senkt sich zu einem zehn Meter weiter hinten lauernden schmächtigen Glatzkopf. Alleingelassen tippelt er mit kurzen Schritten in die richtige Position, holt mit dem linken Fuß aus und schießt den Ball volley von der Strafraumkante ins linke untere Toreck. Unhaltbar, 2:3, ein Tor wie ausgedacht.
Arjen Robben ist 26 und gelangt in diesen Tagen auf den vorläufigen Zenit seines Schaffens. Im Sommer war Ex-Präsident Perez zu Real Madrid zurückgekehrt und hatte damit begonnen, aus den Königlichen wieder „die Galaktischen“ zu formen. Nach Jahren des Misserfolgs lotst er unter anderem Cristiano Ronaldo, Kaka und Karim Benzema in die spanische Hauptstadt. Gesamtkosten: 250 Millionen Euro. Der Verein braucht Geld. Robben nennen sie damals den „Mann aus Glas“. Seine Verletzungsanfälligkeit macht ihn entbehrlich. Trotz der besten Vorbereitung seines Lebens erhält er in den ersten Saisonspielen keine faire Chance.
Derweil sitzt Uli Hoeneß mit leuchtendem Kopf in der Allianz Arena. Im Sommer war man nach dem Seuchenjahr mit Jürgen Klinsmann an der Seitenlinie guter Dinge gewesen, mit Louis van Gaal den richtigen Trainer an die Säbener Straße geholt zu haben. Doch Ende August sind die Bayern 14. und haben kein Ligaspiel gewonnen. Karl-Heinz Rummenigge greift zum Telefonhörer.
Wenige Tage später leuchtet auf der Anzeigetafel des vierten Offiziellen zum ersten Mal die Nummer 10 auf, als sich neben ihm ein kahlköpfiger junger Mann bereitmacht. Robben wird zur Halbzeit gegen den amtierenden Meister Wolfsburg beim Stand von 1:0 eingewechselt. Er sprintet auf den Rasen, etwas zu aufrecht für einen Normalsterblichen. Am Ende gewinnen die Bayern 3:0, Robben schießt zwei Tore. Der Vorbereiter hört beide Male auf den Namen Franck Ribery.
Es ist der Nullpunkt einer Ära, die den FC Bayern München in neun Jahren sieben Mal ins Halbfinale der Champions League führen wird, darunter drei Finalteilnahmen und der Gewinn der Champions League 2013. Und die nun endet. Robben verlässt die Bayern im Sommer, vielleicht Richtung Heimat. Seine Karriere austrudeln zu lassen, passt nicht zum Ehrgeiz dieses Mannes. Aber es wäre ein ironischer Schlusspunkt. Denn auch das wichtigste Tor seiner Karriere, das so anders war als alle anderen, ließ er mit einem Schüsschen über die Linie trudeln. Grausamer kann man ein Champions-League-Finale nicht entscheiden.
Überhaupt hat Robbens Spiel nichts Wildes oder Exotisches. Es lebt von Genauigkeit, von chirurgisch präzisen Schnitten in freie Räume, die sich auftun, wenn er mit rasender Geschwindigkeit auf die Verteidiger zudribbelt. Diese winzigen Maschen an Raum, die er immer wieder findet, die er erzwingt und aus denen heraus er zu seinen Schüssen ansetzt, bilden den Kern des Phänomens Arjen Robben.
„Du entscheidest“, beschreibt Robben einmal das Geheimnis seiner so oft erzielten Tore aus der Distanz, denen ein plötzlicher Richtungswechsel auf die Innenbahn vorausgeht. Nicht der Verteidiger, meint er. „Wenn du loslegst, legst du los. Und normalerweise sind sie dann zu spät“. Die Milisekunden an Reaktionszeit, die auch die besten Verteidiger benötigen, um seine Richtungswechsel in ihre Bewegungen einzupreisen, genügen Arjen Robben, um eine Lücke aufzutun.
Das hat sein Spiel einzigartig gemacht. In einer Zeit, in der im Fußball die Räume enger wurden, in der ein Raumdeuter wie Thomas Müller zeitweise arbeitslos wurde, weil es keine Räume mehr zu deuten gab, hat Robben beharrlich Löcher in Defensivverbände gerissen. Dabei ist er in den entscheidenden Momenten nicht an seinen Gegenspielern vorbeigezogen. Stattdessen hat Robben sie in die Seitenlage gezwungen, ihren Schwerpunkt ausgehebelt und sie in dem Glauben sterben lassen, seinen Schuss mit einem langen Bein noch abwehren zu können.
Man mag sich kaum ausmalen, was aus Arjen Robben geworden wäre, wenn er kein „Mann aus Glas“ gewesen wäre. Wenn er anstatt 20 30 Saisonspiele hätte absolvieren können. Wenn er von den 20 nicht 5 als Rekonvaleszent zugebracht hätte. In der Saison 2011 genügen ihm 14 Bundesligaeinsätze, um 22 Scorerpunkte zu sammeln.
Der Bundesliga fehlen Spieler wie er. Pressen und sprinten können viele, erst recht im perfekt aufeinander abgestimmten Kollektiv. Mit dem Ball am Fuß ein Tor erzwingen, können die Wenigsten. Die Räume der Bundesliga sind seit Robbens Abgang noch ein wenig enger geworden.
Bildquelle: rayand unter Attribution 2.0 Generic (CC BY 2.0)
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